EU-Beitritt von Polen
Die polnische Regierung wollte so schnell wie möglich der Europäischen Union (EU) beitreten und gab aus diesem Grund bei den Beitrittsverhandlungen ordentlich Gas. Der Zeitplan der polnischen Regierung unter Ministerpräsident Leszek Miller enthielt zwei wichtige Termine: 2002 wollte die Regierung die Verhandlungen mit Brüssel abschließen. Der Beitritt sollte 2004 erfolgen. Beide Ziele erreichte Polen.

Am 9. Oktober 2002 war Leszek Miller seinem Ziel, der Aufnahme Polens in die EU, ein erhebliches Stück näher gekommen. Die EU-Kommission schlug zehn Staaten – darunter Polen – für den Beitritt vor.
Der Weg bis hierin war jedoch wegen der sich kompliziert gestaltenden Beitrittsverhandlungen beschwerlich. Lediglich 22 der 29 Verhandlungskapitel hatte Polen bis März 2002 abgeschlossen. Brüssel mahnte weitere Reformen an. Vor allem müsse Polen die Korruption unterbinden, die Umweltrichtlinien der EU erfüllen und für mehr Hygiene in der Milchwirtschaft und in den Schlachthöfen sorgen. EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen erhöhte am 9. Oktober 2002 den Druck, indem er auf einer Pressekonferenz sagte: Er würde der polnischen Delegation empfehlen, nur ein Glas Sekt und ein Glas Wodka zur Feier des Tages zu trinken und dann sofort wieder an die Arbeit zu gehen.
Schutz des deutschen Arbeitsmarktes
Bei den Beitragsverhandlungen ging es um handfeste wirtschaftliche Interessen – nicht nur der Polen. Deutschland und Österreich wollten einen unkontrollierten Zustrom von Arbeitskräften aus Osteuropa verhindern und forderten deshalb eine siebenjährige Schonfrist ihrer Arbeitsmärkte.
Polen auf der anderen Seite verlangte eine Übergangsfrist für den Landerwerb durch Ausländer. Noch seien die Bodenpreise im östlichen Nachbarland Deutschlands niedrig. So lange sich das nicht ändere, könne man den Verkauf von Boden an Ausländer aus Spekulationsgründen nicht zulassen, sagte der ehemalige polnische Außenminister Wladysław Bartoszewski in einem Interview mit der Tageszeitung "Die Welt" vom 26. August 2001. Einigen konnten sich Warschau und die EU erst im März 2002 nach zähen Verhandlungen.
Das Ergebnis: Nach 12 Jahren dürfen ausländische Firmen in den polnischen Westgebieten (ehemaligen deutschen Gebieten) Ackerland bzw. Forst käuflich erwerben. Ansonsten gilt eine siebenjährige Sprerrfrist. Abhängig von der Wojewodschaft muss ein Landwirt das Ackerland, das er kaufen möchte, vorher drei bis sieben Jahre lang gepachtet haben.
Hohe Arbeitslosigkeit und Finanzkrise
Es gab noch andere Hindernisse auf dem Weg in die Union. Zum Beispiel die schlechte Konjunkturlage. Polen war wegen der niedrigen Inlandsnachfrage auf Exporte angewiesen. 75 Prozent der Exporte gingen in die Europäische Union. Wichtigster Handelspartner hier war Deutschland. Wegen der Rezession in der EU – insbesondere in Deutschland – sank die Nachfrage nach polnischen Produkten. Polen konnte das angepeilte Wirtschaftswachstum nicht erreichen. Es sank von vier Prozent im Jahr 2000 auf 1,5 Prozent 2001. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit von 14 Prozent im September 2000 auf über 18,1 Prozent im Februar 2002.
Dazu kam eine Finanzkrise, die im August 2001 öffentlich wurde. Polen verzeichnete 2001 ein Haushaltsdefizit von 32,6 Mrd. Złoty – etwa 4,5 Prozent des Bruttosozialproduktes. Die Regierung verordnete der polnischen Bevölkerung deshalb drastische Sparmaßnahmen. So sollten beispielsweise die ohnehin niedrigen Löhne im öffentlichen Dienst 2002 nicht angehoben werden.
Volksabstimmung über EU-Betritt
Unter diesen Vorzeichen musste Miller die Bevölkerung vom EU-Beitritt überzeugen. Viel Zeit hatte er nicht mehr. 2003 stand in Polen ein Referendum über den Beitritt zur Europäischen Union an. Die Akzeptanz schwand. Umfragen vom Sommer 2001 zufolge befürworteten nur noch 53 Prozent der Bevölkerung einen EU-Beitritt. 1997 waren es noch 72 Prozent. Nun ging Warschau in die Offensive. Am 8. Mai 2002 eröffnete die polnische Regierung eine landesweite Aufklärungskampagne über die Europäische Union. Seit diesem Tag lag Informationsmaterial zum EU-Beitritt in öffentlichen Gebäuden und Institutionen (z. B. Bibliotheken) aus.
Diese und andere Aktionen, mit denen die Regierung für einen EU-Beitritt warb, hatten Erfolg. Am 7. und 8. Juni 2003 stimmten 77,45 Prozent der Polen für den EU-Beitritt. Nur 22,45 Prozent der Wähler stimmten dagegen. Die Wahlbeteiligung lag bei 58,8 Prozent.
Am 1. Mai 2004 trat Polen der Europäischen Union bei.
Übergangsregelungen nach dem EU-Beitritt
- EU-Bürger dürfen erst 12 Jahre nach Beitritt Polens zur EU landwirtschaftliche Flächen und Anwesen kaufen. Diese Regelung gilt nur für die Westgebiete (also ehemalige deutsche Gebiete). In den übrigen Gebieten ist der Landverkauf bereits nach sieben Jahren möglich. Ausnahmeregelungen sind für EU-Bürger vorgesehen, die bereits Landwirtschaft betreiben. Sie dürfen drei Jahre nach Abschluss ihres Pachtvertrages Land erwerben. Diese Regelung gilt allerdings nicht für die polnischen Westgebiete.
- EU-Bürger, die ihren ersten Wohnsitz nach Polen verlegen, können sofort Grund und Haus erwerben. Bedingung: Sie betreiben keine Landwirtschaft.
EU-Bürger mit einem Zweitwohnsitz in Polen können Grund und Haus erst nach fünf Jahren kaufen. - Volle Freizügigkeit für polnische Arbeitnehmer Richtung "alte Mitgliedsstaaten" gibt es erst sieben Jahre nach dem Beitritt. Damit wird dem Drängen Deutschlands und Österreichs Rechnung getragen, die die "billigen Arbeitskräfte" aus dem Osten fürchten. Die Regelung ist aber für die EU-Staaten nicht bindend. Jedes EU-Mitglied kann seinen Arbeitsmarkt bereits vor Ablauf der Frist von sieben Jahren für Arbeitnehmer aus Polen öffnen.
- Umweltschutz: Die Schwerindustrie muss die strengen Umweltauflagen der EU erst ab 2015 erfüllen.
- Molkereien und Schlachthöfe haben drei Jahre lang Zeit, um die EU-Normen in Bezug auf die Hygiene zu erfüllen.
(fh)