Włodawa – die Stadt der drei Kulturen
Von einer kleinen Anhöhe aus schaue ich auf einen kleinen Fluss, an dessen Ufer auf der anderen Seite dichtes Gebüsch und Bäume wachsen. Der Fluss heißt Bug. Die gegenüberliegende Seite gehört zu Weißrussland. Nur wenige Kilometer südlich von hier wird aus der polnisch-weißrussischen die polnisch-ukrainische Grenze. Ich bin in der kleinen Stadt Włodawa. Die Türme der katholischen Kirche des hl. Ludwig ragen über die die Dächer der Stadt empor und ich kann die Zwiebeltürme der Kirche der russisch-orthodoxen Gemeinde erkennen.


1242 wird Włodawa zum ersten Mal in einer altrussischen Chronik erwähnt und entwickelt sich im Laufe der Jahrhunderte zu einer Stadt, in der Menschen unterschiedlicher Religionen ein Zuhause finden: Katholiken, Russisch-Orthodoxe und vor allem Juden. Włodawa bezeichnet sich deshalb auch als die „Stadt der drei Kulturen”.
Richtiger wäre heutzutage allerdings die Bezeichnung „Stadt der zwei Kulturen“. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren rund 70 Prozent der Bevölkerung in Włodawa jüdischen Glaubens. Zwei Synagogen, eine Talmud-Schule, zwei Klezmer-Kapellen, eine Mykwa (ein traditionelles jüdisches Bad), ein jüdischer Friedhof und ein jüdischer Sportverein zeugten vom vielfältigen gesellschaftlichen Leben der Gemeinde. Die deutschen Besatzer ermordeten die meisten jüdischen Einwohner im nahe gelegenen Vernichtuntslager Sobibór, das 2009 in Deutschland durch das Verfahren gegen den ukrainischen Aufseher Iwan Mykolajowytsch Demjanjuk in das Licht der Öffentlichkeit gerückt worden ist, oder deportierten sie in Arbeitslager. Auch ein Ghetto gab es in der Stadt.
Steinerne Zeugen der jüdischen Kultur gibt es in Włodawa mehrere, zum Beispiel die Große Synagoge (hebr. Bet ha-kneset). Sie wurde zwischen 1764 und 1774 nach Entwürfen des Architekten Paweł Antoni Fontana (Paolo Antonia Fontana) gebaut. Außen fällt die Synagoge durch ihr Mansardendach und die schlossähnliche Fassade auf. Blickfang im Gebetsraum ist der neobarocke Aron ha-qodäsh, der Toraschrein, aus dem Jahr 1936. Er ist farbenfroh und reich mit Stuckarbeiten verziert. In der Mitte des Gebetsraumes stützen vier Säulen ein Kreuzgewölbe, unter dem früher einmal die bimah stand. Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Synagoge stark beschädigt und nach dem Krieg zunächst als Kaufhaus genutzt. In den 1960er Jahren entschloss sich die Stadt, die Synagoge zu restaurieren, und seit 1983 beherbergt sie ein Museum. Teil der Museumsausstellung ist eine Sammlung von Judaika und eine Schulstube aus dem Haus eines Melameds, eines jüdischen Lehrers.
Sehenswert ist auch ein Gebetshaus aus dem 17. Jahrhundert, das nur wenige Meter von der Synagoge entfernt steht. Das Besondere an ihm sind Fragmente der ursprünglichen Wandmalereien, die erhalten geblieben sind. Ein weiteres Gebetshaus in Włodawa stammt aus dem Jahr 1928.

Die katholische und spätbarocke Pfarrkirche des heiligen Ludwig steht nordöstlich vom Marktplatz. Errichtet wurde sie im 17. Jahrhundert. Besonders beeindruckend sind die Wandmalereien aus der Rokokozeit im Inneren.
Die russisch-orthodoxe Kirche steht östlich vom Marktplatz und wurde 1842 im Auftrag der vermögenden Magnatenfamilie Zamoyski gebaut. Zu jener Zeit war Polen geteilt und Włodawa gehörte zum russischen Zarenreich.
Während des Zweiten Weltkrieges litten die Menschen in und um Włodawa unter dem Regime der deutschen Besatzer. An einem Nachmittag wird mir das auf eine ganz persönliche Art deutlich gemacht. Ich bin zu einem Kaffeekränzchen bei Danuta, einer älteren Dame, eingeladen. Wir schauen uns private Fotos an. Eine Freundin der Gastgeberin hält mir plötzlich ein Foto unter die Nase, auf dem ein kleines Bauernhaus zu sehen ist. „Auf der Schwelle seines Haus stand Danutas Vater, als er von einem deutschen Wehrmachtssoldaten erschossen wurde“, sagt sie und kann mir sogar noch den Namen des Mörders nennen. Die Mutter wurde in das Konzentrationslager Majdanek bei Lublin gebracht, wo sie ebenfalls ermordet wurde.
Die grausame Geschichte des Ortes im 20. Jahrhundert steht im starken Kontrast zu dessen Umgebung. Włodawa liegt idyllisch in einer Gegend mit ausgedehnten Wäldern und kleinen Seen. An den Ufern haben viele Stadtbewohne Sommerhäuschen gebaut, wo sie ihren Urlaub und die Wochenenden verbringen. Nicht weit von Włodawa entfernt befindet sich einer der schönsten polnischen Nationalparks, der Polesie-Nationalpark (Poleski Park Narodowy).
Zu den kulturellen Höhepunkten gehört das „Fest der drei Kulturen“, das alljährlich in Włodawa stattfindet. (fh)
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