Vilnius (Wilna, Wilno) – die Hauptstadt von Litauen
Was hat die Hauptstadt Litauens auf einer Webseite über Polen zu suchen? – wird sich manch ein Leser verwundert fragen. Jahrhunderte lang war Vilnius (Wilna) das geistigen Zentrum der östlichen Provinzen der polnisch-litauischen Staatenunion. Bis heute fühlen sich viele Polen der älteren Generation aus persönlichen Gründen der Stadt eng verbunden. Mit Wehmut denken sie an die malerischen Gassen von Wilna, der Stadt ihrer Kindheit, zurück, der Heimatstadt des Dichters Adam Mickiewicz und des Staatsmanns Józef Piłsudski.


Die historisch-geografischen Überschneidungen haben oft zu Spannungen im polnisch-litauischen Verhältnis beigetragen. Seit der politischen Emanzipation beider Staaten und ihres gemeinsamen Beitritts zur EU-Familie wird auch der Nachbar mit anderen Augen gesehen.
Die polnische Heimatverbundenheit verklärt nicht mehr den Blick auf die Tatsache, dass Wilna keine polnische Stadt, sondern die Hauptstadt des unabhängigen Staates Litauen ist. Und die Litauer erkennen, dass sich die jahrhundertealten Spuren polnischer Geschichte in Wilna nicht wegwischen lassen, dass die Stadt mit dem wundersamen Bildnis der Mutter Gottes im Tor der Morgenröte (Ostra Brama, Aušros Vartai), die jedes Jahr tausende von Pilgern anzieht, ein wichtiger Bestandteil der nationalen Identität der Polen bleiben wird.
Stadtgründung - werben um qualifizierte Arbeitskräfte
Die Gründung von Vilnius wird auf den 25. Januar 1323 datiert. An diesem Tag schrieb Großfürst Gediminas, der auch die Hauptstadt von der Inselburg Trakai nach Vilnius verlegt hatte, Briefe an den Papst und bedeutende Städte und lud Händler und Handwerker ein, sich in Vilnius niederzulassen. Als Anreiz versprach er ihnen den Erlass von Steuern und Religionsfreiheit. Gleichzeitig geriet Litauen außenpolitisch unter Druck. Der Deutsche Orden fiel immer wieder in das Land ein, drang mehrmals bis zur Hauptstadt vor und verwüstete sie. Um das Land außenpolitisch zu stärken, heiratete Großfürst Władysław II. Jagiełło 1386 die zwei Jahre zuvor zum "König" von Polen gekrönte Hedwig von Anjou (Jadwiga Andegaweńska). Fortan wurden die beiden Länder in Personalunion regiert. Zum Showdown kam es 1410, als ein polnisch-litauischen Heer den Deutschen Orden in der Schlacht von Tannenberg schlug.
Die Politik der Toleranz gegenüber Religionen, die 1323 versprochen worden war, setzte sich im 16. Jahrhundert fort. Als andernorts die Gegenreformation oft gewaltsam vorangetrieben wurde, entstanden in Vilnius eine protestantische Kirche, eine Synagoge und verschiedene orthodoxe Kirchen. Wie bedeutend die Stadt in dieser Zeit war, zeigt sich auch an ihrer Einwohnerzahl. 30.000 Menschen lebten in ihr. Zum Vergleich: Die mächtige Hansestadt Hamburg zählte 1560 lediglich 20.000 Einwohner.
Stadtmauer und Tor der Morgenröte
Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren Städte von Stadtmauern umgeben, die sie vor Angreifern schützten. Ständig wurden die Stadtmauern modernisiert. Vilnius bildete da keine Ausnahme. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts griffen Krim-Tataren die Sadt an. Offensichtlich kamen die Hauptstädter zu dem Schluss, dass ihre Verteidigungsanlagen zukünftigen Angriffen nicht standhalten würden und begannen mit deren Ausbau, der 1522 abgeschlossen werden konnte. Noch einmal verstärkt wurde die Stadtmauer im 17. Jahrhundert durch eine Artilleriestellung auf dem Bastionsberg.
Neu entwickelte Artillerie mit großer Reichweite und großer Durchschlagskraft machten Stadtmauern im 19. Jahrhundert überflüssig und zu einem Kostenfaktor, der die Stadtkasse unnötigerweise belastete. Als logische Konsequenz rissen die Hauptstädter sie ab und schütteten die Stadtgräben zu. Das passierte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eineinhalb Jahrhunderte später, in den 1960er Jahren, erinnerte sich Vilniuser an die Artilleriestellung auf dem Bastionsbeg, legten sie frei und bauten sie wieder auf. Seit 1989 beherbergt sie ein kleines Museum, das über die Stadtgeschichte informiert und alte Ritterrüstungen zeigt.
Von den zehn Stadttoren existiert nur noch das Aušros Tor (Tor der Morgenröte). In ihm hängt das Bild der Barmherzigen Muttergottes, das ein bedeutender Wallfahrtsort für Katholiken, orthodoxe und griechisch-katholische Christen ist.
Seit dem Schulterschluss 1386, erlebte der Doppelstaat Polen-Litauen einen wirtschaftlichen Aufschwung, der eine vermehrte Bautätigkeit zur Folge hatte. Unübersehbar sind die italienischen Einflüsse in der Architektur. Nachdem Sigismund II. 1547 die italienische Prinzessin Bona Sforza geheiratet hatte, kamen italienische Baumeister und prägten mit ihren Bauten das Aussehen der Stadt mit. Ein beeindruckendes Beispiel dafür ist der Fürstenpalast, der zwischen 1547 und 1553 nach Entwürfen des Baumeisters Biovanni Cini entstand.
Universität Vilnius
1570 gründete die Jesuiten ein Kolleg, das der polnisch-litauische König Stephan Batory neun Jahre später in den Rang einer Universität erhob. Das Universitätsensemble mit der Johanniskirche, dem Astronomischen, dem Großen und dem Sarbeivijus-Hof ist übrigens sehr sehenswert. Im 19. Jahrhundert spielte die Universität eine wichtige Rolle im Kampf für die Unabhängigkeit Polens und Litauens. Polen-Litauen war 1795 mit der Teilung in einen russischen, einen preußischen und einen österreichischen Teil von der Landkarte verschwunden. Litauen lag im russischen Teil. ?Ende des 18. Jahrhunderts begann die Epoche der Romantik. Zwei ihrer Vertreter waren der polnische Dichter Adam Mickiewicz und der litauische Historiker, Schriftsteller und Ethnograph Simonas Daukantas, der unter anderem eine Sammlung litauischer Volkslieder herausgegeben hatte. Beide studierten zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Vilnius. Mit der Romantik erwachte der Nationalismus, der in der Forderung nach einem unabhängigen Polen und einem unabhängigen Litauen mündete. Die russischen Machthaber reagierten mit Repressionen. Wegen seiner Mitgliedschaft im Philomathenbund, einer illegalen studentischen Vereinigung, verhafteten die Russen Mickiewicz 1823 und verbannten ihn nach Zentralrussland. 1830 erhoben sich in Warschau (Warszawa) polnische Offiziere gegen die russische Teilungsmacht. Der sogenannte Novemberaufstand schwappte ein Jahr später auf Vilnius über, wurde von den Russen jedoch niedergeschlagen. Da die Universität ein Hort der Aufständischen war, wurde sie 1832 kurzer Hand geschlossen. Ihre Tore öffnete sich erst wieder nach der litauischen Unabhängigkeitserklärung 1918 wieder für Studierende.

1920 erlangte Litauen seine politische Unabhängigkeit zurück. Die Beziehungen zu Polen verschlechterten sich, als Polen 1920 das Vilniuser Gebiet besetzte und zu einer polnischen Provinz machte. Gezwungenermaßen verlegten die Litauer ihre Hauptstadt von Vilnius nach Kaunas. Auch die Beziehungen zum Nachbarn Deutschland waren angespannt, weil Litauen 1923 das Memelgebiet annektiert hatte. Ein Vorgehen, das der Völkerbund ein Jahr später in der Memelkonvention anerkannte.
In der sowjetischen Einflussphäre
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 begannen der deutsche Reichskanzler Adolf Hitler und sein Propagandaminster Joseph Goebbels eine scharfe Kriegsrethorik. Den aggressiven Worten folgten bald Taten. Die Nationalsozialisten begannen mit der Wiederaufrüstung und und der Wiedereinführung der Wehrpflicht im Jahr 1935. Sie traten aus dem Völkerbund aus, besetzten das entmilitarisierte Rheinland, gliederten das tschechoslowakische Gebiet der Deutschböhmen als Reichsgau Sudetenland und Österreich in das Deutsche Reich ein. Im März 1939 musste Litauen das Memelgebiet wieder an Deutschland abtreten.
Am 23. August 1939 unterzeichneten Deutschland und die UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, kurz Sowjetunion) den "Deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag" (auch Hitler-Stalin-Pakt genannt), in dessen geheimen Zusatzprotokoll sie Mittel- und Osteuropa untereinander aufteilten. Litauen lag laut Vertrag in der deutschen Interessensphäre. Nachdem Deutschland und die Sowjetunion Polen im September 1939 überfallen und besetzt hatten, folgte am 28. September 1939 die Unterzeichnung des "Deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrages", der Litauen nun der Sowjetunion zusprach. Es war der Beginn einer Fremdherrschaft durch die Sowjetunion, die mit einer kurzen Unterbrechung bis 1990 andauerte.
Sowjetische Truppen waren im September 1939 zunächst in Litauen einmarschiert, plünderten Vilnius und zogen sich wieder zurück. Für kurze Zeit war Litauen wieder mit dem Wilnaer Gebiet vereinigt und unabhängig. Moskau mischte sich jedoch in die inneren Angelegenheiten ein, erzwang die Errichtung sowjetischer Stützpunkte im Land und ließ im Juni 1940 Scheinwahlen durchführen, aus denen die kommunistische Partei Litauens als Sieger hervorging. Das neu zusammengesetzte Parlament beschloss die Angliederung Litauens an die Sowjetunion. Aus Litauen wurde eine Sowjetrepublik. Die kommunistische Partei Litauens unter der Führung von Antanas Sniečkus und der sowjetische Geheimdienst deportierten tausende Litauer nach Sibirien.
Das Ghetto in Vilnius
Die sowjetische Herrschaft endete zunächst, als Deutschland die Sowjetunion im Juni 1941 angriff und auch in Litauen einmarschierte. Die deutsche Besatzung bedeutete allerdings nur den Austausch einer Schreckensherrschaft durch eine andere. Für fast alle litauischen Juden bedeutete sie der Tod. Rund 16 Prozent der litauischen Bevölkerung war 1929 jüdisch und lebte überwiegend in Städten wie Kaunas und Vilnius. Sofort nach dem Einmarsch am 25. Juni 1941 begannen die Deutschen mit der Erschießung litauischer Juden in Paneriai, einem Stadtteil von Vilnius. Tausende Juden pferchten sie in ein Ghetto in der Innenstadt, wo sie hungerten und dem Terror der Besatzer schutzlos ausgeliefert waren. Nur wenige der vor dem Zweiten Weltkrieg in Vilnius lebenden 55.000 Juden haben die deutsche Besatzungszeit überlebt.
Die sowjetische Zeit
Nachdem die Sowjets 1944 wiederum die Deutschen aus Litauen vertrieben hatten, setzten sie den "Aufbau des Sozialismus" fort. Sie enteigneten Betriebe und gründeten landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften. Einen großen Teil der polnischstämmigen Bevölkerung vertrieben sie nach Polen. Ein Nachkomme litauischer Polen ist der sowohl in Polen als auch in Deutschland bekannte Schriftsteller Stefan Chwin, dessen Eltern 1945 in das zerstörte Danzig (Gdańsk) gekommen waren. Chwin, 1949 geboren, beschreibt in seinem Roman "Tod in Danzig" das Leben in einer Wohnung, aus der zuvor die deutschen Bewohner vertrieben worden waren.
Für die kommunistischen Machthaber war "Religion Opium für das Volk" (Karl Marx), die sie bekämpften. In Vilnius funktionierten sie Kirchen zu Lagerräumen, Konzerthallen oder Museen um und unterdrückten die nationale Identität der Litauer. Nach der Selbstverbrennung des 19 Jahre alten Studenten Romas Kalanta in Kaunas 1972, mit der er gegen das herrschende System protestierte, kam es in Vilnius zu Massenprotesten. Auftrieb erhielt die Opposition durch die Schlussakte von Helsinki 1972, zu deren Unterzeichnern auch die Sowjetunion zählte. Korb III der Schlussakte beschäftigt sich mit humanitären Fragen und dem Kontakt von Menschen über die Blockgrenzen hinweg. Oppositionelle Gruppen in Litauen pochten immer wieder auf die Einhaltung der in den Korb III verbrieften Menschenrechte, zu denen sich die die Sowjetunion mit ihrer Unterschrift bekannt hatte.
Den Schlussakt der Sowjetunion läutete die Ernennung von Michael Gorbatschow zum Staatschef der UdSSR ein. Mit seiner Politik des Glasnost (Offenheit) und der Perestroika (Umbau) wollte er die marode Wirtschaft der Sowjetunion reformieren und wieder in Schwung bringen. Außenpolitisch erzielte er mit der Unterzeichnung von Abrüstungsverträgen mit den USA große Erfolge. Den Willen zur Unabhängigkeit der Minderheiten in seinem eigenen Land unterschätze er dagegen völlig. Das zeigte sich in Litauen und vor allem in Vilnius. Als erste Sowjetrepublik erklärte Litauen 1990 seine Unabhängigkeit. Am 13. Januar versuchten prosowjetische Kräfte in Vilnius mit Panzern den jungen Staat zu stürzen. 14 junge Menschen verloren bei den Auseinandersetzungen am Fernsehturm ihr Leben. Das Rad der Geschichte konnten die Putschisten nicht zurückdrehen. An den Blutsonntag erinnert ein Mahnmal auf dem Friedhof Antakalnis.
Die Innenstadt von Vilnius gehört zu den schönsten und am besten erhaltensten in Europa. Deshalb steht sie seit 1994 auf der Liste des UNESCO-Welterbes. (fh)
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Bildung:
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